Und alle sagten: "Wir schaffen das. Wir geben Vicky ein Zuhause."
Eines Tages kam das Berliner Herzzentrum auf die Kristallkinder zu und fragte uns, ob wir Vicky bei uns aufnehmen könnten. Zu diesem Zeitpunkt gab es die Kristallkinder etwas mehr als zwei Jahre. Alle Plätze in der WG waren belegt und eigentlich hatte auch unser Team keine Kapazitäten mehr für eine Neuaufnahme. Doch wir spürten, wie sehr dem Ärzteteam das Wohl der kleinen Vicky am Herzen lag und wie sehr sie sich für Vicky ein Zuhause wünschten. Also beschlossen wir, das Mädchen im Herzzentrum zu besuchen.
Vicky kam mit einer schweren Herzerkrankung zur Welt. Als wir sie kennenlernten, war sie bereits neun Monate alt. Der einzige Geruch, den sie kannte, war der sterile Geruch des Krankenhauses. Das Piepen der Überwachungsgeräte begleitete sie Tag und Nacht. Ihr Krankenzimmer war ihre kleine Welt.
Ulli und ich waren ein bisschen ratlos. Einerseits sahen wir keine Ressourcen Vicky aufzunehmen, anderseits hatte uns die Begegnung mit Vicky wirklich berührt.
Mit ihren kleinen schwarzen Löckchen lag sie verloren in dem viel zu großen Bett, angeschlossen an ein Beatmungsgerät und Infusionen. Das Ärzteteam erzählte uns von Vickys kurzer Lebenserwartung. „Es kann jederzeit vorbei sein“, sagten sie. „Doch wir wünschen ihr ein Zuhause und noch ein paar schöne Wochen.“
Noch am selben Tag erzählten wir in der WG von unserer Begegnung mit Vicky. Wir schilderten dem Team das Dilemma, in dem sich Ulli und ich befanden.
Was dann passierte, ist einer der Gründe, warum ich so unglaublich stolz auf die Kristallkinder bin. „Wir schaffen das“, war die Reaktion des gesamten Teams: „Natürlich schaffen wir das. Wir geben Vicky ein Zuhause.“
Das Team entwickelte eine neue Raumidee: Aus Simons Einzelzimmer wurde ein Doppelzimmer und Vicky hatte ihren Platz in der WG gefunden. Alle erklärten sich bereit, zusätzliche Dienste zu übernehmen, um Vicky mit viel Hingabe zu betreuen.
An ihrem zweiten Tag bei uns, einem kalten, aber sonnigen Februartag, schenkte das Kristallkinder-Team Vicky ihren ersten Kristallmoment: Auf einem Spaziergang spürte die Kleine zum ersten Mal in ihrem Leben die Sonne und den Wind auf ihrer Haut.
Von da an schenkten wir Vicky viele erste Momente: Das erste Streicheln eines Ponys, das erste Schaukeln, das erste Mal im Gras liegen. Und Vicky hat uns gezeigt, wie wenig Lärm die wirklichen Wunder machen.
Mittlerweile hat Vicky, der ja eigentlich nur wenige Wochen Lebenszeit vorausgesagt waren, bei uns zwei Geburtstage gefeiert und zwei Urlaube mit uns verbracht. Und jeder dieser kleinen und großen Kristallmomente, die das Kristallkinder-Team für Vicky geschaffen hat, macht mich zutiefst glücklich. Auch wenn sie es uns nicht sagen kann, wir alle spüren, dass Vicky bei uns ein Zuhause gefunden hat.
Seit dem Tag, an dem wir Vicky kennengelernt haben, weiß ich, was es bedeutet, ein Teil des Kristallkinderteams zu sein: mutig, aufmerksam und neugierig schaffen wir manchmal Unmögliches, wir übernehmen gemeinsam Verantwortung und schaffen unseren Kristallkindern einen familiären Rahmen. Wir gestalten mit Hingabe Lebenszeit.